Wolfgang Herbert

 

Wie ein Minikomi-Text die Weihen der hohen Literatur erhält. Oder: wie sich Gerhard Roth planmäßig einen Erdbebenerlebnisbericht aneignet.

 

     Ende 1996 macht Gerhard Roth eine Lesereise durch Japan. Diese schlägt sich in der reichlich konstruierten Irrfahrt seines Protagonisten im Roman "Der Plan", Dr. Feldt, nieder. Um alle seine Reisenotizen unterbringen zu können, wird auch keiner der von Roth besuchten Orte ausgelassen. Dabei kommen einige nette Beschreibungen von Natur, Topographie und Sehenswertem heraus. Ein exotischer Ramschladen streckenweise, dessen Kitsch ich hier nicht ausräumen kann. Es geht um was anderes. Um den Vorwurf der plagiatreifen Einverleibung eines Textes, ohne dies kenntlich zu machen. Es mag schriftstellerisch angehen, Gelesenes wiederzuverwerten, auszugestalten, kreativ umzumünzen. Was nicht angeht, ist hingegen das wortwörtliche Abschreiben. Das tun Wissenschaftler manchmal, aber immer unter Angabe des Zitats. Dieser Art von Disziplin braucht sich ein literarischer Autor zugegebenermaßen nicht zu unterwerfen. Eine schöpferische Umgestaltung ist im vorliegenden Fall zweifelsohne geschehen. Allerdings lehnt sich diese motivisch und vokabulär so stark an einen Text von mir an, daß ich mich nicht scheue, von geistiger Fledderei zu sprechen. Dies gilt es im folgenden zu belegen. 

     Ein Erdbeben gehört offenkundig zum Fundus der verwertungsbedürftigen Imagos beim Thema Japan. Tatsächlich kann man dieses unangenehme Naturspektakel hier öfter und spürbarer erleben als in Österreich. Was mir auch widerfahren ist. Ich befand mich im Epizentrum des großen Hanshin-Erdbebens vom 17. Januar 1995, in dem mehr als sechstausend Menschen umgekommen sind. Und ich habe darüber einen Erlebnisbericht geschrieben, der unter dem Titel "Das große Hanshin-Erdbeben: eine Körperzeugenreportage" im Minikomi. Informationen des Akademischen Arbeitskreises Japan im März d. J. (1/1995), 1-4 erschienen ist. Diesen Text habe ich mir nach Tagen der Sprach- und Fassungslosigkeit wahrlich abgerungen. Auch und gerade deshalb lasse ich mir den nicht nehmen. Die Erfahrung war dermaßen höllisch, daß mir heute noch bei geringen Erdstößen instinktiv Urängste die Brust hochkriechen. Jedenfalls ist dieser Report Gerhard Roth in die Hände geraten, was viel einfacher zu erklären ist, als wie und warum Dr. Feldt in den Besitz eines Mozart-Autographs kommt, um das sich der Kriminalfall im "Plan" entwickelt. Wahrscheinlich hat eine der Gerhard Roth auf seiner Tournee begleitenden und betreuenden Personen (Botschaftsangestellte, österreichische Auslandslektoren etc.) auf die Anfrage nach Folgeschäden des großen Erdbebens ihm meinen Essay zugespielt. So weit, so gut.

     Nun ist die Erdbebenbeschreibung in Roths Roman nicht einfach eine Dreiseitenepisode unter dreihundert anderen Seiten, sondern nachgerade der Kulminationspunkt und das Finale der ganzen Historie. Dabei hat sich Gerhard Roth großzügig und fahrlässig an meinem Bericht vergriffen und bedient. Beim ersten Lesen glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Da erlebt Dr. Feldt das beschriebene Erdbeben praktisch und geliehenerweise mit meinen Sinnen. Was sich natürlich leicht- und langfingrig und munter kopieren läßt, wenn man in einem vor sich liegenden Text marodiert und nicht wirklich selbst mitten in diesem grausigen Geschehen gestanden (in meinem und Feldts Falle buchstäblich) hat. Für mich war das eine höchst traumatische Erfahrung, die sich Herr Roth als Nicht-Betroffener allzu leichtfertig und respekt- und rücksichtslos anempfindet. Ich fühle mich nicht nur um Stellen meines Textes beraubt, sondern auch seelisch ausgeweidet und verschachert. Das scheinbar Authentische und Unmittelbare der Feldt'schen tellurischen Tremorerfahrung geht auf meinen authentischen Report zurück.

     Die ganze Dramaturgie des fiktiven Feldt'schen Erlebnisses deckt sich mit meinem tatsächlichen Erleben. Als das Erdbeben einsetzt, steht Feldt - so wie ich - in einem Gang und will sich an den Wänden abstützen. Das Gebäude schwankt, nach dem Beben geht er nach draußen. Stille nach dem Sturm. Er begibt sich - wie ich seinerzeit - auf eine Anhöhe, um sich einen Überblick zu verschaffen, setzt sich gar auf den steinernen Querbalken eines torii, eines zusammengebrochenen Schintoschreintores (über dessen Einsturz ich bestürzt berichtet habe). Ich meine, bei allem Ärger, habe ich mich auch geehrt gefühlt. Offenbar mochte Gerhard Roth meinen Text so sehr, daß er verbalgetreu Passagen daraus übernimmt. Meine Vorliebe für Aneinanderreihungen und Assonanzen spiegelt sich wörtlich in Roths Verschnitt. Das fängt an mit: "rollendes Grollen ..." Bei der Lektüre dieser Zeilen war ich schon alarmiert. Später dann reichlich echauffiert. Ich meine, es gibt Koinzidenzen. Aber die gehen hier einfach zu weit, um von zufälligen Übereinstimmungen sprechen zu können. Die Form der Roth'schen Aneignung ist ein geistiges (und seelisches, sollte er das immer noch nicht verstanden haben) Eigentumsdelikt. Ein Schriftsteller seines Formats hätte es nicht nötig, derart ungeniert Bilder, Metaphern, Lautmalereien und Deskriptionen abzukupfern.

     Ich habe die deckungsgleichen Stellen in Roths Buch schwefelgelb markiert und sehe nun ein Palimpsest vor mir, in dem alleroroten meine Urfassung durchblitzt. Es gibt Auslassungen (...), geringfügig versetzte Chronologie und Zusätze. Ich dramatisiere im historischen Präsens und naturgemäß in der ersten Person, Roth erzählt im Präteritum und in der dritten. Feine formale Unterschiede, nicht mehr. Im folgenden zitiere ich nun alle verbal übernommenen Passagen mit gelegentlichem Kommentar unter obig genannten Abstrichen. Wortgleichheit mache ich durch Schrägschrift deutlich, der Rest dient der Kontextuierung (die sich teilweise ja ebenso deckt). Aus: Gerhard Roth: Der Plan. Roman. Frankfurt a.M.: S.Fischer 1998, 284-287.

     "Plötzlich hörte Feldt ein rollendes Grollen, wie einen tief aus ... der Erde ..steigenden  Donner. Das Haus schwankte, ... er verlor das Gleichgewicht, wollte sich mir der linken, dann der rechten Hand an den Wänden abstützen, aber da war nichts ..." Dann schildert Roth das Bebengeschehen, wobei er sich gut in die Situation hineinversetzt, die ich post festum als das Tohuwabohu einer durcheinandergewürfelten Zimmereinrichtung beschrieb. Während ich nur das bedrohliche Gefühl hatte, die Decke könnte einstürzen, tut sie das im Roman. Feldt, verschont, geht dann nach draußen. Das weitere Szenario ist mir wieder abgeschaut. "In einer Nebengasse konnte er den Widerschein von Feuer sehen, Rauchschwaden, Funkenspritzer stiegen hoch. Es roch scharf nach Gas und Brand.  ... Brandherde ... Straße .. Risse ... aufgeworfen .. Spalten ... keine Sirenen, keine Verkehrsgeräusche ... in Schutt gelegt. ... Fassaden aufgerissen. Radios, Bücher, Wäsche, Bettdecken waren ... verstreut. Eine Frau ..., dürftig in Wolldecken eingewickelt, stapfte entgeistert und mit wirrem Blick an ihm vorbei. ... kein Geschrei ... Gelähmtheit   ... alte Holzhäuser schiefgekippt. ... Leute hockten wie Verirrte vor ihren Heimen. Weiter unter brannte es, ... es knisterte, rauchte und fauchte. ... Menschen  ... mit staub- und rußverschmierten Gesichtern, verstört und blutend. ...Eine umgefallene Gartenmauer lag wie eine erschlagene Riesenschlange auf der Straße." Um das so schildern zu können, muß man das gesehen haben. Tatsächlich war die Mauer nicht einfach gerade umgekippt, sondern war so durchgeschüttelt worden durch die Erschütterungen, daß sie schlangenlinienförmig dalag. Die wörtliche Übernahme dieses Bildes und Satzes hat mir den Rest meiner wohlwollenden Zurückhaltung geraubt.

     Es geht weiter: "Ein neuerliches Beben ließ wackelige Bautenüberreste ... krachend in sich zusammensinken. ... Schock .., ... wie bei einer schweren Verletzung, bei der man keinen Schmerz empfindet, solange man das Blut nicht sieht." So schmerz- und skrupelfrei kann sich Gerhard Roth also an anderer Leute schockartigem Erleben bereichern. "... Trümmerfeld ... Holzlatten und zerfetzte Dachbalken ragten in die Höhe ..., Menschen schleppten sich ... wie anästhesiert durch die Schuttmoränen. ... Goldhähnchen, die unter zaghaftem Piepsen ... Samen aus verdorrten Blüten pickten ...die Unterführung teilweise versperrt durch eine darauf gestürzte Brückenhälfte." Bei den Goldhähnchen war mir endgültig klar, daß dies von mir stammen mußte, bitte, diesen Spuk muß man erlebt haben. Die erwähnte veritable Grabesstille und dann die unbekümmerten, bei mir aus ornithologischer Unsicherheit als "Goldhähnchen ähnelnde Vögel" bezeichneten Geschöpfe - bei Roth sind die zu Goldhähnchen mutiert und piepsen in seinem Text fröhlich weiter. Also, alles, was recht ist. Das reicht mir. Ich bezichtige Gerhard Roth öffentlich des Plagiats und der unsensiblen Verwurstung eines Opferberichtes. Es geht nicht primär um die Sätzchen, die Roth nicht selbst (um)formulieren konnte. Er ist mir emotional zu nahe getreten. Ich sehe nicht ein, warum mein Real-Alptraum und Trauma umstandslos in eine Romanfigur verpackt und (gut) verkauft wird. Ich erwarte eine anerkennende Geste und Nota, wenn nicht Entschuldigung.

 

 

Erschienen in:

Minikomi – Informationen des Akademischen Arbeitskreises Japan 3/1999, 30-31